Vor jeder Biegung des Weges verlangsamt unser Fahrer und hupt schrill auf, der Weg ist zu schmal für Gegenverkehr. Fünfzehn Minuten tiefer im Dickicht und Staub einfachster menschlicher Behausungen spricht er scheinbar willkürlich mit einem Jungen, der gleich davon läuft. Wir halten etwas später in einer Baulücke, weit genug entfernt von der Mauern ringsherum, so dass wir den Platz gut überblicken können und warten im Wagen. Die Luftfeuchtigkeit ist drückend, die Kleidung klebt auf der Haut und kein leichter Wind fällt durch die offene Schiebetür und bringt Erleichterung, auch nicht für einen kurzen Moment. Wir warten immer noch. Irgendwann taucht ein Mann in schmutzigem Unterhemd, kurzer Hose und Sandalen auf und kommt auf den Wagen zu. In einer Hand trägt er eine schwere, rote, zerknitterte Plastiktüte. Unser Fahrer tauscht ein paar schnelle Worte mit dem Mann, dann steigt er in den Wagen zu uns, legt die Plastiktüte auf die Ablage zwischen den beiden Vordersitzen und dann schwere Bündel Geld auf den Sitz zwischen uns.
Er ist ein reicher Mann hier im Viertel, er besitzt zwei Fernseher.
Fünfhunderttausend Kyat. Wir zählen die Bündel aus Geldscheinen. Immer wieder werfen wir verstohlene Blicke nach draußen. Fünf ausdrücklich frisch gedruckte und nicht abgegriffene 100-Dollar-Noten sollten wir im Austausch geben. Noch vor einigen Tagen in Bangkok war es nicht so leicht gewesen, sie aufzutreiben, bis wir schließlich eine Bank fanden, in der sie darüber Bescheid wussten. In Rangun, der größten Metropole Burmas, gibt es im Jahr 2012 noch keine Geldautomaten, Kreditkarten werden nicht akzeptiert, geschweige denn im Rest des Landes. Der offizielle Wechselkurs der Banken liegt hoffnungslos niedriger als der Schwarzmarktpreis.
„Er ist ein reicher Mann hier im Viertel, er hat zwei Fernseher“, erzählt uns unser Fahrer in etwas gebrochenem Englisch. Als der Van etwas später wieder auf die große Straße einbiegt, atmen wir plötzlich beinahe unmerklich auf und die Anspannung der letzten Stunden fällt von uns ab.
Burma erwacht seit wenigen Jahren aus einem lange währenden Dornröschenschlaf, Jahren des Stillstands, internationaler Isolation und Unterdrückung unter der Herrschaft der Militärjunta. Präsident Thein Sein, ein früherer General, entließ im November 2010 die Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi nach 15 Jahren aus dem Hausarrest, die Pressefreiheit ist heute weniger eingeschränkt, hunderte politische Gefangene kamen aus den Gefängnissen frei. Auch Mutu, unser Fahrer für die nächsten drei Wochen, saß als Student im berüchtigten Insein-Gefängnis in Rangun. „Ich habe keine Angst mehr vor ihnen“, sagt er, während wir durch die verwitterte Metropole fahren. Das Militärregime ist inzwischen einer formal zivilen Regierung gewichen, immer noch führt aber kaum ein Weg an den Generälen vorbei. Viele Bereiche des Landes dürfen nicht oder nur mit besonderer Genehmigung besucht werden. Die muslimische Volksgruppe der Rohingya gilt als eine der am unbarmherzigsten verfolgten Minderheiten der Welt.
Zerbrochene Bürgersteige und verfallene Villen aus der britischen Kolonialzeit ziehen an uns vorüber. Der Putz bröckelt, viele Fassaden sind so schwarz gefärbt vom Schimmel wie die Wände der Nasszellen unseres Hotels. Wir sind für ein paar Tage in einer Absteige ein wenig abseits des Zentrums an einer großen Straße untergekommen. Noch gibt es nicht genügend Unterkünfte für Rucksackreisende. Immer mehr Touristen kommen nach Burma, auf der Suche nach einem Asien, wie es vor vielen Jahren einmal gewesen sein muss, bevor der Massentourismus es für immer verändert hat. Noch 2010 waren es gerade einmal 311.000 Touristen im Jahr, die nach Burma kamen, nicht einmal 2 Prozent der knapp 20 Millionen im benachbarten Thailand. Aber schon 2012 waren es beinahe doppelt so viele.*