Teheran, Iran (1989) vs. die Pubertät
35°42’37.2″N 51°25’16.5″E
1989 veröffentlichten The Offspring Tehran als siebten Song Ihres Debütalbums The Offspring. Als ich jünger war, habe ich den Song oft angehört, im Bus auf dem Weg in die Schule, noch im Aufenthaltsraum vor der ersten Stunde, während ich versuchte, einen Teil der Hausaufgaben nachzuholen, noch nach dem Gong und beim Betreten des Klassenzimmers bis zu dem Moment, an dem der Lehrer die Stimme erhob und noch ein kurzes Stück länger, bevor ich die Kopfhörer im letztmöglichen Moment von den Ohren riss: Eine Dauerschleife von Rebellion und der Sehnsucht nach dem Fremden. Der Song beschwor eine unbestimmte Ablehnung gegen das Leben in der Provinz und die Kleinstadt, in der ich lebte, gegen eine Welt, in der ich mich zurechtfinden musste, aber das Gefühl hatte, nicht einverstanden sein zu müssen. Er beschwor einen mystischen, weit entfernten, verheißungsvollen und unheimlichen Ort zugleich. Er war der Soundtrack des Abenteuers, das ich nicht erlebte. Der Punk war ein Ventil für die unbestimmte Wut der späten Pubertät, die nicht recht wusste, gegen was sie sich richten sollte.
Vielleicht kommt daher ein Teil der Aufregung, die ich verspüre, als wir 18 Jahre später vom Flughafen in einem alten Renault über die Autobahn in Richtung der iranischen Hauptstadt fahren. Die Farben sind anders als in Deutschland: Kein Grün mehr, sondern Kaskaden aus Gelb, Ocker und Braun, wie ich sie noch nie zuvor gesehen habe. In der Ferne erheben sich die Berge und die Steine glimmen im Licht der gerade aufgehenden Sonne. Wir sind müde, alle Flüge aus Europa landen in den frühen Morgenstunden, und das Taxi beschleunigt weiter. Die Luft flimmert und Gebäude, Tankstellen und einzelne Bäume fliegen an uns vorbei. Es ist beinahe ruhig, bis wir mit einem Mal unter Warp gehen.
Aus dem Nichts, am Ende der Autobahnabfahrt, ist alles anders. Willkommen, Chaos. Yes! Die Luft riecht nach Benzin. Mopeds mit zwei oder drei Menschen darauf rattern an uns vorbei. Fahrspuren gibt es keine. Es ist unklar, ob die Straße davon zwei, drei oder vier haben soll. Das Taxi steuert mit unverminderter Geschwindigkeit auf eine Kreuzung zu genau wie unzählige andere Wagen aus allen vier Richtung. Quietschen von Reifen, aufheulende Motoren und Hupen, abruptes Abbremsen, kurze Manöver und die Wagen gleiten durcheinander und aneinander vorbei. Gib dem Wahnsinn einen Namen! Okay. Verkehr in Teheran. Nichts für schwache Nerven.
Irgendwo zwischen den U-Bahn-Stationen Shohada-ye Haftom-e Tir und Taleghani biegt unser Fahrer in eine kleine Seitenstraße ein und wir stehen vor dem See You In Iran Hostel. Es wird von einem Kollektiv junger Iraner*innen betrieben und ist für viele Reisende die erste Anlaufstelle in Teheran. Schwere Teppiche liegen am Boden. Auf einem der Tische steht Frühstück: süße Marmelade, die wir in den nächsten Wochen fast überall bekommen werden, Fladenbrote, Gurken, Tomaten, weißer Käse. Leise Musik.
Wir schlafen in getrennten Mehrbettzimmern für Frauen und Männer. Die Betten sind durchgelegen, die Luft ist schwer und trocken. In jedem Zimmer brennt ein Gasofen. Die Duschen und Toiletten sind eng. An den Abenden gibt es im Erdgeschoss Vorträge, Diskussionen, Filme oder Musik.
I’m on another planet with you, Teheran (2017)
Ich schließe die Augen. Ich öffne die Augen. Teheran ist ein Schmelztiegel. Vielleicht die erste Stadt, die ich besuche, die diese Zuschreibung wirklich verdient. Es ist laut, überall ist dieser Geruch nach schmutzig verbranntem Benzin. Endlose Kolonnen von alten Wagen schieben sich durch die Straßen zu jeder Tages- und Nachtzeit. Es ist Dezember und kalt und auf den Gehwegen sind trotzdem mindestens genauso viele Menschen unterwegs. Überall gibt es Geschäfte, Goldschmieden, Elektronik, Kioske, Apotheken, Bekleidung. Durch die kleinen Kanäle, die den Asphalt von den Gehwegen trennen, fließt Regenwasser, wenn es in den Bergen regnet. Als wir am Nachmittag auf die Straße treten, dämmert es bereits und die Lichter der Straßenlaternen gehen gerade an. Am Ferdowsi-Platz tauschen wir Geld und betreten endgültig einen anderen Planeten.
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